Land und Leute in Indien

Eine Reise durch Indien ist spannend, lehrreich, anstrengend, abenteuerlich und erfordert Diplomatie sowie viel Geduld. Die Fettnäpfchen sind vielfältig, die kulturellen Unterschiede omnipräsent, trotz der englischen Kolonialzeit. Unser viel gereister Autor Karl Günthard hat schon mehrere Reisen nach Indien unternommen, den Subkontinent oft mit dem Fahrrad erkundet. Seine Reiseerfahrung und sein Insider Know-How sind einerseits hilfreich und fördernd für das Kulturverständnis, andererseits sollen die Anekdoten einfach eine amüsante Reiselektüre bieten.

So geht’s zu und her in einem traditionellen Hotel

Da sich die Inder gerne das Essen aufs Zimmer bringen lassen, klingelte die ganze Nacht die Glocke, um den Zimmerservice zu rufen. Der Ton ist etwa vergleichbar mit dem einer Notfallsirene.

Etwas Spassiges erlebten wir in einer Pilgerstadt. Morgens um 5:30 Uhr weckte uns die Blumenfrau, um uns als vermeintliche Pilger, Blumenschmuck für den Tempelbesuch zu verkaufen.

Als ich am nächsten Morgen das Hotel für die vergangene Nacht bezahlen wollte, verrechneten sie mir gleich zwei Nächte. Der clevere Hotelmanager erklärte mir, dass die Inder meistens 12 Stunden im Tempel ihrer Gottheit huldigen. Erst anschliessend checken sie ein, um ein konzentriertes Nickerchen zu machen, bevor sie wieder die oft tagelange Fahrt an ihren Wohnort antreten.

Als angenehme Nebenerscheinung kann dadurch die Belegung des Hotels ohne viel Aufwand gewinnbringend verdoppelt werden. In einer traditionellen indischen Unterkunft haben meist schon etliche andere Personen im gleichen Bettzeug geschlafen, es wird nur sporadisch ausgewechselt. Diesen Dauereinsatz akzeptiert der Inder ohne mit der Wimper zu zucken.

Da keine Handtücher vorhanden sind, werden die nassen und oft auch dreckigen Hände an den Wänden abgetrocknet. Der Ventilator an der Decke ist vom Geräuschpegel her mit dem einer startenden Hubschrauberstaffel vergleichbar. Zum Duschen ist ein grosser Kübel mit Wasser gefüllt und mit einem kleinen Kübel giesst man dieses Wasser über sich. Landläufig ist diese Art als Elefantendusche bekannt. Durch grosse Lüftungsschlitze vernimmt man während der ganzen Nacht die Geräusche aus dem Nachbarzimmer.

In besseren Hotels bezahlten wir normalerweise EUR 15 und kamen uns wie Könige vor. Dabei werden im Abstand von 10 Minuten jeweils von unterschiedlichen Angestellten die Pässe, das Toilettenpaper, die Badtücher, die Bettlacken, die Seife und die Kopie der Rechnung gebracht. Dies immer in der Hoffnung, von den Westlern ein Trinkgeld zu bekommen.

Reise Know-How Indien über Land und Leute
Reise Know-How über Land und Leute in Indien.

Indisches Essen und Trinken

Obwohl ich ein Schnellesser bin, schlagen einen die Inder um Längen. Nur Sekunden nachdem sich ein Gast gesetzt hat, «pflastert» ihm der Kellner das Menu auf das als Teller benutzte Bananenblatt. Aus einem Eimer mit vier Abteilen, wird so oft nachgeschöpft, bis der Gast das Bananenblatt zusammenlegt. Bevor er aber fertig ist, liegt schon die Rechnung auf dem Tisch. So dauert der Aufenthalt eines normalen Inders in einem Restaurant etwa zehn Minuten, nirgends sonst wird so schnell gegessen in Asien.

Will man eine Essensbestellung aufgeben, schnalzt man mit der Zunge und der Kellner erscheint. Das funktioniert einwandfrei. Die Schwierigkeit für mich besteht eher darin, in mitteleuropäischen Gegenden nicht das gleiche Verfahren zu wählen und damit ein blaues Auge zu riskieren.

In der Zwischenzeit sind wir auch in der Lage ein Spiegelei mit der Hand zu halten und gleichzeitig mit derselben Hand das Ei zu zerteilen, ohne dass es zu Boden fällt. Seit wir dies können, sind wir für die Einheimischen nur noch halb so interessant.

Während das Rülpsen in Restaurants zum guten Ton gehört, dreht sich alles nach dir um, wenn du mit einem Taschentuch die Nase putzt.

Im Restaurant sitzt ein Pärchen meist nebeneinander, der Blick gegen die Wand gerichtet. In einem Ausflugsboot ist die Blickrichtung gegen hinten. Da passen wir uns meist der Landessitte an. Sonst fühlen wir uns nicht relaxt, wenn Hunderte von Indern uns ausgiebig mustern.

Am Monatsende haben Frauenorganisationen durchgesetzt, dass kein Alkohol verkauft werden kann, da sonst der ganze Lohn versoffen würde. Auch wenn Wahlen anstehen, gibt es über längere Zeit keinen Alkohol. Umgangen wird diese Vorschrift mit dem Spezialtee. Dabei wird Alkohol in der Teekanne serviert und natürlich auch aus der Teetasse getrunken.

Indisches Essen
Indisches Essen in einer Seitengasse in Neu-Delhi.

Indien ist anders

Viele Inder müssen sich im eigenen Land in Englisch miteinander verständigen, es existieren 22 verschiedene Sprachen. Obwohl theoretisch Englisch auf dem Stundenplan steht, kann auf dem Land selbst der unterrichtende Lehrer nur gebrochen Englisch.

Lustig, aber irgendwie auch etwas gefährlich erscheint mir, dass die Fahrlehrer beinahe ausnahmslos das Fahrzeug vom Nebensitz aus lenken und der Fahrschüler etwas unbeteiligt und gelangweilt daneben sitzt.

Inder haben die Angewohnheit sich masslos zu überschätzen. So sahen wir etliche Traktoren, Mähdrescher und Lastwagen, welche sie beim Durchqueren eines Flusses versenkten, obwohl dies beim näher hinsehen schon zum Voraus so klar war, wie das Amen in der Kirche.

Eine weitere Schwierigkeit bestand darin herauszufinden, ob eine Antwort ja oder nein bedeutet. Denn der Kopf wird für beides hin und her bewegt, nur beim Ja etwas mehr und dazu wird oft noch mit der Zunge geschnalzt.

Da es morgens meist erst etwa 20 Grad «kalt» ist, tragen die Inder gerne Daunenjacke, Wollmütze und einen trendigen Ohrenschutz. Doch trotz dieser bei uns im Winter getragenen Ausrüstung, sind grosse Teile der Landbevölkerung immer noch nicht im Besitz von Schuhen.

Die Fülle der unzähligen Farben der «Saris» lässt sogar einen Erdbewohner mit Haaren an den Beinen nicht kalt. Millionen von hübschen, glutäugigen Inderinnen tragen den traditionellen indischen Wickelrock tagtäglich, formvollendet und graziös. Erschwerend für einen Mann die Saris auch gebührend zu bewundern ist, dass die Männer immer zwingend vor den Frauen laufen.

Indische Familie
Indische Familie: Vater mit Sohn waschen sich, Mütter mit farbenfrohen Saris.

Indien versucht uns zu verstehen

Hände schütteln gehört nicht zur indischen Etikette. Wir mussten unzählige Hände schütteln, um den Indern, welche das noch nie erlebt haben, dieses Gefühl einmal zu bieten. Meistens zogen sie die Hand ganz erschrocken zurück oder wir hatten das Gefühl, einen Schwamm in der Hand zu halten.

Inder können nicht verstehen wieso wir uns Gabel und Löffel in den Mund stecken und nicht mit den Händen essen.

Sie benützen kein Taschentuch und finden es total unhygienisch, wenn wir nach dem Nase putzen das verunreinigte Utensil wieder zurück in den Hosensack stecken.

Kulturschock WC

Gäbe es in Indien das Wort «pinkeln», dürfte es auf keinen Fall ausgesprochen werden. Um das notfallmässige Bedürfnis zum Wasser lassen einem Busfahrer klarzumachen, muss klar erkennbar der kleine Finger hochgehalten werden. Zwei Finger aufzuhalten würde bedeuten, dass der Busfahrer noch etwas länger anhalten müsste.

Toilettenpaper ist auf dem Lande überhaupt nicht oder nur zu stark erhöhten Preisen erhältlich. Das veranlasst einen dazu, wo auch immer möglich Servietten mitlaufen zu lassen.

WC-Anlagen fehlen in den meisten Häusern. Die Frauen laufen mit einem Töpfchen voller Wasser aufs Feld hinaus, um ihr «Geschäft» mehr oder weniger unsichtbar zu verrichten. Die Männer hingegen sitzen ungeniert in Kauerstellung an der Strasse, um ja nichts zu verpassen und winkten uns freudig zu.

Rischka in Indien
Indische Rischka in Rajasthan.

Was verdienst du?

Neben den Standardfragen über deinen Namen, das Alter, den Zivilstand, den Namen der Kinder und deren Zivilstand, gibt es auch einige heiklere Fragen. Zum Beispiel kommt oft die Frage: «Was verdienst du?» «Kannst du mir eine Arbeit in der Schweiz beschaffen?» Ohne zu lügen kann ich dann zum Beispiel erklären, dass ein Schweizer länger arbeiten muss um ein Fahrrad zu kaufen, als ein Inder in seinem Land. Das wissen wir von unserer Erfahrung der Radreise in Indien bestens.

Schulsport auf indisch

An zwei grossen Schulsporttagen wurde das Programm kurzfristig umgestellt und wir zu Ehrengästen ernannt. Als ich dann auch noch via Mikrophon vor der ganzen Schule aus dem Stehgreif eine Rede halten musste, lächelte mich meine Frau Marianne wohlwollend an, froh nicht an meiner Stelle zu stehen. Aber auch nichts ahnend, dass sie nach mir auch eine Rede halten musste und ich ihr relaxt zuschauen konnte.

Anschliessend kam ich dann mit meinem eher bescheidenen Dienstrang in der Schweizer Armee dazu, mit einigen Würdenträgern zusammen, salutierend die Parade der ganzen Schule abzunehmen. Während ich unsere Version des Salutierens wählte, salutierten die Inder in der englischen Version, mit nach aussen gedrehter Hand. Noch etwas befangener war Marianne. Als einzige Frau in der Reihe der Würdenträger wusste sie nicht recht, was zu tun wäre.

Doch nach der Pflicht kam nun für uns die Kür indem wir die Gelegenheit bekamen, Hunderte von indischen Jugendlichen bei ihren überlieferten traditionellen Tänzen zu bewundern.

Der Abschied von diesen wunderbaren Menschen fiel uns jedes Mal schwer, doch die Gewissheit, dass uns bereits nach der nächsten Kurve der nächste Höhepunkt unserer Reise erwartete, machte es uns etwas leichter.

Schüler in Indien
Schüler in Indien, nicht alle Familien können sich Schuhe für ihre Kinder leisten.

Indien ist hektisch und laut

Da die Inder total lärmunempfindlich sind, schlafen sie immer gleich gut. Ganz egal, ob da Lastwagen hupen, Lokomotiven pfeifen, Hunde die ganze Nacht bellen, bei Tempelfesten nächtelang Böllerschüsse abgefeuert werden oder der Fernseher des Zimmernachbarn die ganze Nacht auf volle Lautstärke eingestellt ist.

Während die Autofahrer den spazierenden Kühen und Wasserbüffeln ausweichen, wird den Radfahrern und Fussgängern um einiges weniger Rücksicht entgegengebracht. Und dies hat seinen Grund. Stirbt eine Kuh bei einem Verkehrsunfall, muss der fehlbare Autolenker damit rechnen, dass er gelyncht wird, während ein Radfahrer oder Fussgänger einfach Pech gehabt hat.

Allein ist man auf Indiens Strassen nie. Neben mehr als einer Milliarde Indern gilt es 200 Millionen Kühen und 3 Millionen Kamelen, Affen, Wasserbüffeln, Leguanen sowie Elefanten auszuweichen.

Gerüche aller Art

Sollten der Sendung «Wetten, dass..» die Themen ausgehen, könnte ich problemlos einspringen, indem ich behaupte, dass ich die Gerüche verwester Tiere aus einer Entfernung von 50 Metern dem richtigen Tier zuordnen kann. Selbst ausgewachsene Wasserbüffel liegen am Wegesrand, da die Möglichkeiten sie abzutransportieren gar nicht vorhanden sind.

Meistens sind die vorherrschenden Gerüche jedoch ein Fest der Sinne. Die Gerüche der Gewürze, der Blüten und der Früchte sind einzigartig und waren mitunter ein Grund, dass Indien von den Engländern kolonialisiert wurde.

Karl Günthard Reise Know-How Indien
Welt Explorer Karl Günthard hat schon mehrere Reisen nach Indien unternommen. Hier in ehrenvoller Begleitung von indischen Sadhus.

Religion, Pilger und Tempel

Indien überrascht immer wieder. In keinem Reiseführer war erwähnt, dass das grösste Pilgerzentrum der Welt sich etwas abgeschieden auf einem Hügel in der Nähe von Madurai befindet. 18’000 Tempeldiener und 100‘000 Besucher pro Tag, vergleichbar mit Mekka und Rom, das sind einige Eckdaten, um sich die Wichtigkeit von Tirumala vorzustellen.

25’000 Männern und Kindern werden pro Tag die Kopfhaare abrasiert. Dies als Dank an einen der etwa 300’000 Götter, dass der Familie ein Kind geschenkt wurde. Der Tempel schwimmt in Geld. Denn die Busfahrt auf den Berg hinauf kostet. Das Haareschneiden ist auch nicht gratis. Und um die nun ungeschützte Kopfhaut von der Sonne zu schützen, ist der Kauf einer der feilgebotenen Mützen unumgänglich.

Die abgeschnittenen Haare werden unter anderem nach Europa verkauft, um damit den Westlern zu mehr Haarpracht zu verhelfen.

Tempelfeste sind zahlreich, farbenfroh und einmalig. Im Norden von Indien wird oft monatelang gepilgert, um an einem religiösen Fest teilzunehmen. Während der moderne und wohlhabendere Inder im Süden schon mal mit dem Bus oder gar Privatwagen an das Fest fährt.

Jeder Inder sucht sich die ihm dienlichsten Götter selbst aus. Von den 30’000 Götter sind diejenigen für Schönheit, Reichtum und Gesundheit die begehrtesten. Krishna, welcher als Hirtenjunge hübsche Mädchen bezirzt, steht bei den Männern hoch im Kurs. Auf Schritt und Tritt begegnet einem Ganesha, der Gott mit dem Elefantenkopf, welcher alle Hindernisse auf der Strasse und im Leben beseitigt.

Um einen Tempel zu betreten, muss ein Mann den Oberkörper frei machen und rituelle Waschungen vornehmen. Wie bei anderen Religionen auch, wird im Innern dann artig gespendet und vor dem Tempel herrscht eine jahrmarktähnliche Stimmung.

In den Strassen Indiens sind Millionen von «Sadhus» unterwegs. Nachdem sie die Kinder mit ihrer Frau grossgezogen haben, verabschieden sie sich von der Familie, um den Rest des Lebens damit verbringen, sich auf den Tod, respektive ein besseres Leben in einer höheren Kaste im nächsten Leben vorzubereiten. Zum Glück wächst mir noch kein weisser Bart, hoffe ich zumindest, denn vom Alter her wäre ich schon lange ein «Sadhu».

Etwa 30 der 120 Fernsehsender in Indien lassen 24 Stunden pro Tag religiöse Sendungen über den Bildschirm flimmern. Malerische Gestalten mit meist langen, weissen Bärten reden mit ernster Miene auf die Zuschauer ein.

Sadhus und Yogis in Indien
Sadhus und Yogis in Manali, im nördlichen Bundesstaat Himachal Pradesh, am Rande des Himalaya Gebirges.

Indische Männer und Frauen

Der Mann ist König, vordergründig zumindest. Im Hintergrund ist es aber wie bei uns, die Frau lenkt den Mann wohin sie ihn haben möchte.

Beim Bestellen einer Mahlzeit erhält nur der Mann eine Speisekarte. Was er bestellt wird automatisch auch der Partnerin gebracht. Als meine Frau einmal die Karte selbst ergriff und was anderes bestellen wollte, schaltete der Ober sofort und nahm sie ihr aus der Hand. Dann übergab er mir freundlich lächelnd die Karte und die Welt war wieder in Ordnung.

Gilt es etwas Schweres zu tragen, hilft der Mann galant die oft nicht unerhebliche Last der Frau auf den Kopf zu hieven. Das war es auch schon. Da ich alles einmal ausprobiert haben muss, half ich auf einer Strassenbaustelle einmal den Frauen, indem ich schwere Steine wie sie auf dem Kopf transportierte. Obwohl nicht unbedingt ein Schwächling, gab ich nach wenigen Minuten auf. Was bei uns als unzumutbar gilt, ist in Indien Alltag und garantiert das Überleben.

Muss vor einem Kino oder vor einem Fahrkartenschalter Schlange gestanden werden, existieren getrennte Kolonnen für Männer und Frauen. Ich liess mir erklären, dass die Männer allzu oft etwas ungebührliche Finger haben.

Indische Frau
Indische Frau mit einem Bindi, dem aufgemalten Punkt oder Tropfen. Früher wurde dies ausschliesslich von verheirateten Frauen verwendet.

Hochzeit auf indisch

Hochzeiten sind etwas vom wichtigsten im Leben der Inder. Nach wie vor üblich sind arrangierte Trauungen, bei denen die Eltern den Partner für ihre Kinder aussuchen. Eine Hochzeit hat oft mehrere Hundert Gäste.

Wie wir feststellen konnten oder durften, wertet ein Westler unter den Gästen den Anlass auf. Wir wurden mehrmals ganz spontan zu Hochzeitsfeiern eingeladen, was für mich manchmal in einem Tanz auf glühenden Kohlen gipfelte.

Der schwierigste Teil des Anlasses begann nach dem Essen, wenn alle Männer mit mir tanzen wollten und meine Gattin relaxt mit den indischen Frauen zuschauen konnte.

Selbst der Bräutigam nahm mich an der Hand und führte mich zum gemeinsamen Tanz aufs Parkett. Anschliessend spazierte er die ganze Zeit mit mir an der der Hand stolz durch die Gästeschar, während seine hübsche Braut ein Mauerblümchendasein führte. Dies fühlte sich fremd an, auch wenn es nicht der erste Kulturschock dieser Art war. Ich schien zumindest in Indien eine begehrte Partie zu sein.

In Zeitungen erscheinen Inserate Heiratswilliger unter Angabe von Kaste, Beruf, Stellung und Hautfarbe. Personen mit hellem Teint haben auf dem Heiratsmarkt eindeutig die Nase vorn.

Inder sind höflich, freundlich und hilfsbereit

Ich habe immer noch etwas Mühe mich damit abzufinden, dass einem vor einem Einkaufsgeschäft oder beim Coiffeur oft ein Stuhl angeboten wird. Scheinbar sehe ich alt, gebrechlich, müde oder aber nur abgekämpft aus, obwohl meinem Ego keines dieser Attribute speziell zusagt. Zum Glück habe ich festgestellt, dass es allein die Gastfreundschaft ist, welche einen Inder dazu bewegt einen Ausländer so zuvorkommend zu behandeln.

Jedoch existiert im Alltag kein «Hallo, Dankeschön oder Auf Wiedersehen».

Lastwagenfahrer bremsen ihr Gefährt, damit der Fahrer durch die vom Beifahrer offen gehaltene Türe die Möglichkeit hat, ein kleines Schwätzchen mit uns zu führen.

Ein Polizist lud uns zum Frühstück ein, nicht ohne seine Frau vorgängig zu informieren, damit sie die Möglichkeit hatte, ihren schönsten Sari anzuziehen.

Auch zeigte sich die Polizei äusserst kooperativ, als es darum ging, uns auf der Autobahn in voller Fahrt zu fotografieren.

An einem Schalter anstehen zu müssen, ist hingegen der blanke Horror. Da kann es vorkommen, dass du die Nummer zwei in der Kolonne bist, um dann plötzlich ohne Vorwarnung acht Positionen weiter hinten neu beginnen zu müssen.

Mit dem Zug reisen in Indien
Der Zug ist ein beliebtes und oft übervolles Transportmittel in Indien.

Gesicht verlieren

Jeder weiss, dass die Asiaten sehr darauf bedacht sind, ihr Gesicht nicht zu verlieren, aber auch die andern das Gesicht nicht verlieren zu lassen. Für uns bedeutete das, bevor wir etwas fragten, uns zu überlegen, ob eine für uns brauchbare Antwort überhaupt möglich ist. Falsch ist zum Beispiel zu fragen, ob die nächste Stadt 30 Kilometer entfernt sei. Die Antwort ist immer ja, da er sonst mich mein Gesicht verlieren lässt.

Fragt man aber, wie viele Kilometer es bis zur nächsten Stadt sind, bekommt man irgendeine Antwort. Wenn der Inder die Antwort nicht weiß, wird er dies nicht zugeben, weil er sonst sein Gesicht verliert.

Reisebegegnungen

Am Freitag praktizieren Hunderte von Schülern unter Anleitung des Lehrers vor dem Schulhaus Yoga. Alle sind weiss gekleidet und voll konzentriert. Immer wieder werden wir aufgefordert daran teilzunehmen oder mindestens zuzuschauen.

Da christliche und Hindu Priester sehr gut Englisch sprechen, wurden wir lustigerweise oft von diesen Personen zum Essen oder gar Übernachten in ihrem Haus eingeladen. Etwas ungerecht finde ich, dass jeder Inder und jede Inderin sich mit meiner Frau Marianne ablichten lassen möchte, während ich mich meist mit den indischen Männern zufriedengeben muss, da die Frauen traditionsgemäss sehr schüchtern sind.

Etwas überraschend für mich winkten mir dafür tief verschleierte, auf dem Sozius eines Motorrades sitzende Muslima freundlich zu. Durch die begrenzte Ladekapazität eines Motorrades bedingt, schöpft ein Inder mit muslimischem Glauben von heute jedoch nicht mehr das volle Kontingent an ihm zustehenden Ehefrauen aus.

Friseur in Indien
Der Besuch beim Friseur bedeuted in Indien viel mehr als nur Haare schneiden oder rasieren.

Beim Friseur: Eitel wie ein Pfau

Grundsätzlich sind alle indischen Männer sehr eitel und tragen einen Schnauz. Ich habe erlebt, wie sie nach dem Stutzen des Schnauzes bis zu zehnmal reklamierten, bis jedes Haar in der richtigen Länge am richtigen Ort platziert war.

Um einigermassen mithalten zu können, sass auch ich jeden zweiten Tag beim Barber um mich mindestens rasieren zu lassen. Selbst eine Gesichtsmassage mit vielen Cremen und Puder liess ich über mich ergehen. Die Inder sind in meinen Augen die besten Friseure der Welt.

Kopf- und Nackenmassage sowie Achselhaar entfernen ist das Minimalprogramm. Der Höhepunkt stellt die Reinigung des Gesichtes mit einem bräunlichen Tuch dar, welches für was weiss ich sonst noch alles dient.

Rasieren ist nicht ganz ungefährlich. Da ich keine Yoga-Erfahrung habe und meinen Kopf nicht wie ein Uhu drehen kann, knackste es ab und zu bedenklich in meinen Halswirbeln, wenn die Barbiere ganz unzimperlich meinen Kopf von ganz links nach ganz rechts drehten. Wirkliche kurios war aber, als ich vor einem Tempel, wo sich alle Inder kahl rasieren lassen, in der indischen Sprache «Urdu» erklären musste, dass sie bei mir 5 Millimeter stehen lassen sollten.

Am Mulmigsten war mir jedoch, als der eine Barber blind war und ein sehender Kollege ihm die Koordinaten meiner Nase im Gesicht angab, damit sie nicht plötzlich ungewollt abgeschnitten wurde.

Der Inder vom Land besucht jeden Tag den Coiffeur Salon, um sich im Spiegel zu kämmen, welcher zu Hause oft nicht verfügbar ist, ein Schwätzchen zu halten, die Zeitung zu lesen, die Wiederholung des Cricket Matches anzuschauen oder um das Handy zu laden, da immer noch viele der Häuser ohne Strom sind.

Ein unverzeihlicher Fehler ist es, vor der Rasur nicht nach dem Preis zu fragen. Dieser Anfängerfehler treibt den Preis von 20 Rappen auf über 1.50 Franken. Viele versuchen dich wo immer möglich ohne mit der Wimper zu zucken über den Tisch zu ziehen. Es ist ein Spiel, welches du mitspielen musst, ansonsten verlierst du beim Inder dein Gesicht und seinen ganzen Respekt.

Beim Barbier werden auch Ehen angebahnt. Sollte ein Fernsehgerät vorhanden sein, werden die Seifenopern der Inder von der Dorfbevölkerung beim Friseur reingezogen. Andere Länder – andere Sitten. In Vietnam kann man sich gleich noch die Ohren reinigen und die Beinhaare entfernen lassen. In Burma steht Zehennägel schneiden auf dem Programm.


Reise Know-How Reiseführer Indien

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Karl Günthard
Karl Günthard hat schon über 200 verschiedene Berufe in den unterschiedlichsten Ländern der Welt ausgeübt. Der gelernte Sanitärinstallateur arbeitete unter anderem als Tellerwäscher, Kohleminenarbeiter, Gletscherpilot, Wurstverkäufer, Zugführer, Reiseleiter und Kabelträger beim Fernsehen. Seine grosse Passion jedoch ist das Reisen, das Entdecken und Erleben von Land und Leute, wie er eindrücklich zu schildern weiss.